Kategorie: Fahrbericht BMW-Modellreihe: E71 28.08.2009
Fahrbericht BMW X6 35d - Da Big Bastard
von Mario-Roman Lambrecht
Irgendwie haben Autohersteller etwas von kleinen Jungs im Sandkasten. Hat
der eine einen Bagger, will der andere auch einen… nur muss der natürlich besser
sein. Und da die Jungs aus Stuttgart mit dem CLS zuerst was tolles,
coupéförmiges mit vier Türen bauten, machten sich die bayrischen Buben darüber
Gedanken, wie man das noch mal toppen könnte. Heraus kam der BMW X6. Ätsch!!!
Bei bestimmten Autos neige ich immer dazu, sie zu personalisieren und ihnen
Spitznamen zu geben. Beim provokanten Zwitter-Mix des X6 aus SUV, Limousine und
Coupé, war er schnell gefunden: „Big Bastard“. Wer ihn will geht Kompromisse
ein. Welche das sind und ob sie überwiegen, das finden wir jetzt heraus.
Das Design – erfrischend polarisierend
Egal aus welchem Blickwinkel, die Präsenz des X6 ist nicht zu verleugnen. Zu
allererst fällt der enorme Umfang auf. Der X6 ist so breit, dass manch enge
Garageneinfahrt Herzrasen beim Fahrer hervorruft. Die bullige Front gibt sich
angriffslustig. Neben den bösen Frontscheinwerfern mit den klassischen
Corona-Ringen thront in der Mitte traditionell die zweigeteilte BMW Niere vor
dem Kühlaggregat.
Um den X6 vom Plattformbruder X5 deutlich differenzieren zu können, wurde
viel Aufwand betrieben. Sieben Zentimeter rasierten ihm die Bayern vom Skalp
weg, dafür wuchs der X6 um fünf Zentimeter in die Breite und zwei in die Länge.
Das verleiht ihm zugleich einen bulligen, aber auch athletischeren Auftritt.
Gibt sich der Bruder X5 noch erwachsen, im typischen SUV-Segment, darf der X6
mit seiner neuen Coupélinie auch mal kokettieren.
Besonders pfiffig wurde die Auspuffanlage platziert. Die jeweils links und
rechts platzierten Endrohre geben in der Heckansicht zusammen mit den markanten
Heckleuchten den Ton an und sind darüber hinaus, Dank geschickter Designerhand
sind diese auch in der eleganten Seitenansicht wahrzunehmen. Das ist nur eines
von vielen Details, die der Betrachter erst auf den zweiten Blick erhascht.
Besonders interessant ist die Außenwirkung des X6. Während sich die männliche
Belegschaft, erstaunlicher Weise, relativ verhalten gibt, teilweise sogar mit
boshafter Zunge reagiert, scheint der X6 auf das weibliche Pendant eine
unglaublich anziehende Wirkung zu besitzen. Selten gab es aus dem femininen
Lager so viel Schwärmerei und Lobgesang wie für dieses Gefährt. Bei einem doch
recht aggressiven Designentwurf wie diesem hätte ich eher das Gegenteil
vermutet. Wie „Mann“ sich doch irren kann.
Das Heck: Schick aber unpraktisch zugleich
Und jetzt kommt der größte Knackpunkt des Coupé-Designs. Der Rundumblick nach
Hinten ist durch den kleinen Fensterschlitz schlichtweg ein Witz und eine glatte
sechs. Die Rückfahrkamera und das Park Distance Control sind somit Pflicht für
den Big Bastard. Blöd nur, dass die Rückfahrkamera immer gute zwei bis drei
Sekunden braucht bis sie den Heckbereich auf dem LCD-Display anzeigt. Zudem
neigt sie in schwach beleuchteten Parkhäusern zu einem sehr verrauschten Bild.
Auch die weit ausladende Heckklappe beherbergt so ihre kleinen Tücken. Einmal
auf den Kofferraumknopf gedrückt streckt sich diese auf eine Höhe von über zwei
Metern. Die Gefahr dabei Lackschäden am Bürzel wegzutragen, ist somit ungemein
hoch. Wer also in einer niedrigen Garage parkt sollte den Kofferraum manuell
betätigen. Das schont den Geldbeutel. Der Kofferraum lässt sich, Dank der
getrennt umklappbaren Rücksitze, von 570 auf 1.470 Liter erweitern. Die hohe
Ladekante ist dabei wieder ein Tribut an das Design.
Interieur: Haptik auf hohen Niveau
Das Cockpit ist nahezu identisch mit dem des X5 und klar gegliedert. Neben
gut verarbeiteten und ausgewählten Materialien und Farbkombinationen ist das
große LCD-Display harmonisch in die Mittelkonsole integriert. Einzig das alte
I-Drive-Bediensystem mag hier nicht mehr so recht reinpassen. Ab Oktober 2009
kommt aber auch hier das neue System zum Einsatz. Das niedrige Dach vermittelt
gemütliche Limousinen-Atmosphäre.
Das zu jeder Tageszeit optimal ablesbare Head Up Display (optional) mag man
nach kurzer Eingewöhnungszeit nicht mehr missen wollen, ebenso wie die
Komfortsitze, die sich an die individuellen Bequemlichkeitsbedürfnisse anpassen
lassen. Im Fond dürften sich allerdings Fahrgäste mit einer Größe ab 1,85 m dann
doch ein wenig beengt vorkommen. Im Gegensatz zum X5 besteht die Rückbank aus
zwei komfortablen Einzelplätzen, die den X6 zu einem reinen Viersitzer machen.
Der Motor: passt wie Pat und Patterchen
Bei dieser Extravaganz an Design darf auch die passende Motorisierung nicht
fehlen. Der doppelt aufgeladene Commonrail Diesel marschiert mit 210 kW/286 PS
und einem stattlichen Drehmoment von maximal 580 Nm unaufhaltsam voran. Der
Dreiliter-Reihensechszylinder schreitet kultiviert und laufruhig voran. Im
Fahrbetrieb ist vom Nageln, dank der guten Abdämmung im Innenraum, kaum etwas
wahrzunehmen.
In nur 6,9 Sekunden preschen die 2,2 Tonnen von 0 auf 100. Für das schnelle
und ruckfreie Voranschreiten sorgt eine Steptronic 6-Gang Automatik. Wahlweise
kann zusätzlich manuell per Gangwahlschalter oder mit den Schaltpaddles am
Lenkrad der Gangwechsel durchgeführt werden. Die Automatik arbeitet geradezu
grandios mit dem Fahrer zusammen und leistet sich im Alltag äußerst selten einen
Schnitzer. Ab Tempo 200 geht dem „Dicken“ dann doch ein wenig die Luft aus, er
kämpft sich aber dennoch wacker bis zur Höchstgeschwindigkeit von 236 km/h
voran.
Fahrwerk: ist halt ein BMW
Wer jetzt denkt, dass dicke SUV-Coupé kann nur geradeaus, der hat noch nicht
den Sportsgeist von BMW erfahren.Physik, was ist das? Der X6 ballert dank der
präzisen Lenkung erstaunlich neutral in jede Kurve. Besonders faszinierend ist
dies, weil der Fahrer eben nicht mit dem Hintern knapp über dem Asphalt thront,
sondern etliche Zentimeter darüber. Im Sport-Modus wird dies ein wenig mehr zum
Erlebnis.
Will Papa mal den Racker auf der Landstraße spielen, sorgt das aktive
Hinterachsdifferential DPC (Dynamik-Performance-Control) für die nötige
Stabilität. Bei Bedarf kann das System die Antriebskraft per Lamellenkupplung
variabel zwischen den Hinterrädern verteilen. Dank dieses Systems und des
optionalen Adaptive Drive klebt der X6 wie Pattex auf der Straße. Trotz des
hohen Gewichts ist dem Fahrwerk das Schieben über die Vorderräder weitestgehend
unbekannt.Wer dieses Auto zum Schwitzen bringen möchte, muss schon eine extreme
„Aggro-Linie“ fahren.
Agil in den Kurven – Entspannt auf Langstrecken
Nun wissen wir, dass BMW wieder eine fahraktive „Drecksau“ auf die Gummifüße
gestellt hat. Aber im Grunde genommen soll der X6 ein komfortbetontes Reiseauto
sein und genau das bewerkstelligt er mit Bravour. Das optimal abgestimmte
Fahrwerk und die sehr präzise zu dirigierende Lenkung lassen den Fahrer hier
voll auf seine Kosten kommen. Der permanente variabel agierende Allradantrieb
xDrive trotzt Wind und Wetter und gewährleistet eine grandiose Traktion.
Selbst bei Geschwindigkeiten jenseits der 180 bleibt das Schwergewicht immer
souverän gefedert in der Spur. Auch bei den Fahrgästen scheint es ein souveränes
Gefühl der Sicherheit auszustrahlen. Wer als Mann im Beisein von 3 Frauen schon
einmal versucht hat Vollgas zu geben, wird das nachempfinden können. Spätestens
ab der magischen 200 fangen sie alle an zu meckern. Nicht so beim X6. Die
weiblichen Fahrgäste schienen sich zu jeder Zeit wohl zu fühlen.
Die Schattenseite: Wer schön haben will, muss blechen
BMW ist sich seiner Berufung als Premium-Hersteller durchaus bewusst,
dementsprechend lang ist die Aufpreisliste. Zu dem Grundpreis von 64.000 Euro
für das Basis-Model gesellten sich bei diesem Testwagen noch Extras im Wert von
schlappen 24.560 €.
Um es mal deutlich zu machen: Wer bereit ist die 4.000 Euro Aufpreis für das
Professional Navigationssystem hinzulegen, muss aber dennoch für einen
USB-Anschluss weitere freche 300 Euronen hinlegen.
Fazit: Nicht jeder Autohersteller traut sich neue Gefilde zu
erforschen. BMW zeigte sich mutig und präsentierte 2008 das viertürige SUV-Coupé.
Setzte Mercedes schon mit dem CLS einen Trend, so setzten die Bavaren noch mal
einen drauf. Und der X6 hat gerade durch seine polarisierende Art das Zeug zum
Klassiker.
Die Autohersteller proben derzeit den Aufstand gegen die braven
Autoredaktionen, die immer viel Praxisnutzen verlangen. Denn Design kommt
offensichtlich an, auch wenn Käufer dafür einige Kompromisse eingehen müssen.
Das Resultat: Wer ihn haben will, muss Geduld beweisen und darf sich auf eine
Wartezeit von bis zu sechs Monaten einstellen. Manchmal wird Mut zur richtigen
Zeit eben doch belohnt.
Komfort: 9/10
Sportlichkeit: 7/10
Wohfühlfaktor: 9/10
Note: 2-
Datenblatt X6 35 xDrive
Antriebsart: Allradantrieb | Zylinder/Ventile: 6/4 | Hubraum: 2.993 cm³ |
Leistung: 210 kW (286 PS) bei 4.400 U/min | Drehmoment: 580 Nm bei 1.750-2.250
U/min | Vmax: 236 km/H | Co2 Emission g/km: 220 | Beschleunigung 0-100 km/H: 6,9
s | Durschnittsverbrauch: 8,3 l/100 km | Gewicht: 2.185 kg | Preis: ab 64.000,00
EUR inkl. MwSt.
Quelle: Text: Mario-Roman Lambrecht, Fotos: Mario-Roman Lambrecht, Fotos
Interieur : BMW AG
Das könnte Sie auch interessieren:
Auf der Überholspur
- BMW Z4 sDrive35i, Fahrbericht (News vom 23.04.2009)
BMW M3 DKG -
Symphonien eines Achtzylinders, Fahrbericht (News vom
07.01.2009)
King of its class –
BMW 3er Facelift, Fahrbericht (News vom 10.09.2008)
BMW Z4 M Coupe |
Die rote Versuchung, Fahrbericht. (News vom 04.05.2008)
Weiße Raubkatze :
BMW M6 Cabriolet, Fahrbericht (News vom 20.04.2008)
A little star is
born - BMW 125i Cabriolet, Fahrbericht (News vom 15.04.2008)
Bitte empfehlen Sie diesen Artikel weiter:
|