Kategorie: Wirtschaft 30.03.2004
Rede von Volker Doppelfeld
vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats der BMW AG
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vor wenigen Tagen – anlässlich der Veröffentlichung des Dividendenvorschlags
– haben wir auch über die anstehende Neuwahl des Aufsichtsrates berichtet.
Wie Sie wissen, werden zwei Mitglieder, Herr Professor Fahrholz und Herr Dr.
Soltmann, nicht mehr kandidieren; neu in den Aufsichtsrat sollen Herr Wolfgang
Mayrhuber, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa, und Herr Franz Markus Haniel,
Mitglied der Geschäftsführung von Giesecke & Devrient und
Aufsichts-ratsvorsitzender der Handelsgesellschaft Franz Haniel und Cie.,
gewählt werden.
Heute
morgen nun haben wir veröffentlicht, dass eine weitere Veränderung im
Aufsichtsrat vorgesehen ist:
- Ich selbst habe mich zwar zur Wiederwahl in den Aufsichtsrat bei der kommenden
Hauptversammlung zur Verfügung gestellt.
- Allerdings habe ich mich entschlossen, in der anschließenden konstituierenden
Sitzung des neuen Aufsichtsrats nicht mehr für den Vorsitz des Aufsichtsrates zu
kandidieren.
- Der Aufsichtsrat schlägt deshalb dem in der Hauptversammlung neu zu wählenden
Aufsichtsrat vor, Herrn Professor Milberg als meinen Nachfolger zum Vorsitzenden
des Aufsichtsrates zu wählen.
Meine Damen und Herren,
erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einige wenige Anmerkungen:
- Bei der BMW AG als Aufsichtsratsvorsitzender den Vorstand zu begleiten, gehört
sicher zu den reizvollsten Aufgaben, die man sich denken kann.
- Nach unseren Regeln bei der BMW AG würde ich mein Amt allerdings nur noch zwei
Jahre, bis zur Hauptversammlung 2006 nach meinem 70. Geburtstag, wahrnehmen.
- Im Sinne der Kontinuität halte ich es daher für notwendig, dieses Amt zum
jetzigen Zeitpunkt an den richtigen Nachfolger zu übergeben.
- Herr Professor Milberg, den Sie alle kennen, ist – gerade im Sinne der
Kontinuität – genau der richtige Nachfolger zum richtigen Zeitpunkt. Ich freue
mich – auch ganz persönlich – besonders darüber, dass sich der Aufsichtsrat sehr
einvernehmlich auf diesen Vorschlag verständigt hat.
- Es hat die BMW Group und die Führung des Unternehmens immer ausgezeichnet,
frühzeitig die Entscheidungen zu treffen, die zur langfristigen Sicherung des
Erfolgs erforderlich sind.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich die Gunst dieses Zusammenseins nutzen, um einige Anmerkungen
zu den Aufgaben des Aufsichtsrates im allgemeinen und bei BMW im besonderen zu
machen. Sie wissen, dass der Aufsichtsrat im Rahmen der Diskussion um „gute
Unternehmensführung“, also Corporate Governance, verstärkt in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit geraten ist.
Wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Auswahl des Vorstands. Was so
abstrakt, selbstverständlich und vornehm klingt, ist in der Realität harte
Personalarbeit.
Wie beim Sport gilt es, die beste Mannschaft aufzustellen, damit das
Unternehmen im Wettbewerb nicht nur bestehen kann, sondern möglichst erfolgreich
ist.
Vorstandsverträge werden in der Regel für die Dauer von 3 bis 5 Jahren
abgeschlossen.
Eine längere Laufzeit als 5 Jahre lässt das Gesetz nicht zu. Rechtzeitig vor
jedem Mandatsende ist zu entscheiden, ob die Bestellung verlängert werden soll.
Altersbedingte Nachfolgebesetzungen sind ohnehin rechtzeitig zu planen.
Auch wenn im Einzelfall ein Vorstandsmitglied während der Laufzeit seiner
Bestellung abberufen werden muss, fällt das in die Zuständigkeit des
Aufsichtsrats.
Diese Eingriffsmöglichkeiten des Aufsichtsrats, die sich unter Umständen zu
Eingriffspflichten verdichten können, werden in der öffentlichen Diskussion oft
verkannt.
Neben der eigentlichen Bestellung zum Mitglied des Vorstands hat der
Aufsichtsrat auch den Inhalt der Dienstverträge der Vorstandsmitglieder zu
bestimmen und mit den Vorstandsmitgliedern zu vereinbaren.
Auch im Verhältnis zum Wirtschaftsprüfer hat der Aufsichtsrat eine zentrale
Funktion. Der Aufsichtsrat hat den Aktionären, also der Hauptversammlung, einen
Vorschlag über den Wirtschaftsprüfer zu machen – nicht der Vorstand.
Meine Damen und Herren,
seit 2002 gibt es den Deutschen Corporate Governance Kodex mit Regelungen zu
„guten Unternehmensführung“. In weiten Teilen wiederholt er bereits bestehende
gesetzliche Bestimmungen.
Aber er geht darüber hinaus und befasst sich mit den Fragen, wie vorhandene
Regelungen gehandhabt werden und Mindestanforderungen übertroffen werden sollen.
Ganz ohne Zweifel hat der Kodex wesentliche Voraussetzungen geschaffen,
Corporate Governance zu fördern und das Vertrauen der Anleger, auch der
internationalen Anleger zu stärken. Er ist daher insgesamt ein verdienstvolles
Werk.
Die mit Abstand meisten Bestimmungen des Kodex werden bei der BMW AG erfüllt,
wie Sie in unserer Compliance-Erklärung nachlesen können.
Aus der Sicht der Praxis, vor allem der Praxis im Aufsichtsrat, zeigt der
Kodex allerdings einige Schwächen. Darauf möchte ich anhand einiger Beispiele
kurz – und damit sehr verknappt – eingehen und Ihnen begründen, wo wir von den
Regelungen des Kodex bewusst abweichen.
a) Meine Damen und Herren,
welche Anforderungen in persönlicher, fachlicher und beruflicher Hinsicht an
die Qualifikation eines Aufsichtsratsmitglieds zu stellen sind, ist ein weites
Feld. Lediglich zwei Aspekte möchte ich heute hervorheben, nämlich
Bilanzierungskenntnisse und Unabhängigkeit:
Zur Grundqualifikation gehören heute mehr denn je solide Kenntnisse der
Bilanzierung. Umgekehrt könnte ein Aufsichtsrat, der nur aus Fachleuten für den
Jahres- und Konzernabschluss besteht, seiner Aufgabe auch nicht gerecht werden.
Aber ohne gefestigte Grundlagen zur Einschätzung und Bewertung des Zahlenwerkes
geht es nicht. Es genügt, um das Beispiel BMW zu nehmen, eben nicht, sich für
Mobilität und Automobile zu interessieren. Es müssen Grundkenntnisse zur
Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolgs hinzukommen.
Der Kodex stellt besondere Anforderungen an die Unabhängigkeit der
Aufsichtsratsmitglieder. Bei der Kandidatenauswahl sollen potentielle
Interessenkonflikte berücksichtigt werden.
Deshalb sollen dem Aufsichtsrat zum Beispiel nicht mehr als zwei ehemalige
Mitglieder des Vorstands angehören.
Sie werden in mir keinen Befürworter etwa von Überkreuzverflechtungen oder
ähnlichem finden. Aber in den genannten Vorstellungen über die Anforderungen an
die Unabhängigkeit kommt ein latentes Misstrauen zum Ausdruck, und zwar
ausgerechnet gegenüber denjenigen, die aus Fachkenntnis und beruflichem Umfeld
für die Beaufsichtigung des Unternehmens eine besondere Qualifikation
mitbringen. Um es anders auszudrücken: Das Gebot an die Unabhängigkeit des
einzelnen Aufsichtsratsmitglieds darf nicht zu einem Mangel an Kompetenz im
Aufsichtsrat führen.
b) Meine Damen und Herren,
die Corporate Governance Kommission ist ein großer Befürworter von
Aufsichtsratsausschüssen. Neben den üblichen Ausschussgremien wie Präsidium und
Personalausschuss und dem gesetzlich vorgeschriebenen Vermittlungsausschuss soll
nach dem Corporate Governance Kodex der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss (Audit
committee) einrichten. Empfohlen werden weiterhin Ausschüsse zur Strategie des
Unternehmens, zur Vergütung der Vorstandsmitglieder, zu Investitionen und zu
Finanzierungen.
Der Hang zur Bildung von Ausschüssen hat u.a. seinen Grund in der Größe der
Aufsichtsräte. Das ist ein Thema für sich. Bei BMW werden sechs Vorstände von 20
Aufsichtsräten kontrolliert.
Ich bin skeptisch, was diese Vielzahl von Ausschüssen betrifft, weil sie zur
Doppelarbeit und Mehrfachbefassung führt. Eine ganze Reihe von Themen, mit denen
sich die Ausschüsse befassen, müssen trotzdem auch im Plenum behandelt und
entschieden werden. Das kann nicht effizient sein. Deshalb gibt es bei uns neben
dem Vermittlungs-ausschuss und dem Präsidium nur den Personal- und
Prüfungs-ausschuss, die im übrigen alle personenidentisch besetzt sind.
c) Unser Aufsichtsrat hat sich auch in vollem Bewusstsein über die Vorschrift
hinweggesetzt, nach der ein ehemaliges Vorstandsmitglied und auch der
Aufsichtsratsvorsitzende nicht den Vorsitz des Prüfungsausschusses wahrnehmen
soll. Ich stehe sozusagen als doppelter Sünder vor Ihnen, und auch mein
Nachfolger wird hier kaum zurückstehen wollen.
d) Alles in allem hat der Deutsche Corporate Governance Kodex dazu
beigetragen, die klare Trennung der Gremien und Verantwortlichkeiten in den
deutschen Aktiengesellschaften zu verdeutlichen, ja, man kann sogar sagen, dass
neue Sympathien für das deutsche duale System, also die strikte Trennung von
Vorstand und Aufsichtsrat, erkennbar sind.
Umso mehr ist Aufmerksamkeit bei dem Thema der zustimmungspflichtigen
Geschäfte angezeigt. Aus gutem Grund legt das Aktiengesetz fest, dass dem
Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden dürfen.
Gegenüber diesem Prinzip sollte die Verpflichtung für den Aufsichtsrat, dem
Vorstand einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte vorzugeben, eine
Ausnahme dieses wichtigen Prinzips sein und auf den Umfang besonders bedeutender
Vorgänge beschränkt bleiben. So ist es bei BMW.
e) Der Kodex hält zu einem weiteren Thema den schlichten Satz bereit: „Der
Aufsichtsrat soll regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen“. Kaum
lag dieses Thema auf dem Tisch, schon gab es in Fachzeitschriften und von jeder
namhaften Unternehmens-beratungsgesellschaft Checklisten und Fragebögen, die zur
Verwendung oder gar zum Kauf angeboten wurden. Wohlgemerkt: Gegen eine
regelmäßige Evaluierung der eigenen Arbeit und Prüfung, wie sie zu verbessern
ist, kann nichts eingewendet werden. Mir wurden Checklisten mit mehr als 100
Fragen für die Evaluierung der Aufsichtsrats-Arbeit angeboten. So wird der Sinn
der Empfehlung des Kodex nicht erfüllt.
Den einzig richtigen Weg sehen wir in direkten Gesprächen im Aufsichtsrat mit
Festlegungen, welche Verbesserungen der gemeinsamen Arbeit gewünscht und
umgesetzt werden sollen.
f) Ein schwieriges Thema im Zusammenhang mit Corporate Governance ist die
Mitbestimmung, weil diese auf der Ebene der Unternehmensleitung, wie sie in
Deutschland praktiziert wird, einzigartig ist. Gute Corporate Governance sei
fast unvereinbar mit der Mitbestimmung, wird vereinfachend kommentiert. Ich
plädiere für eine differenzierte Betrachtung. Aus unserer Erfahrung bietet die
Mitbestimmung auch Vorteile, wenn es der Unternehmensleitung gelingt, den
Sachverstand und die Faktenkenntnis von Belegschaftsvertretern in die
unternehmerische Realität einzubeziehen, und dieses nicht nur im Vorfeld,
sondern gerade auch in gemeinsamen Sitzungen der Spitzengremien. Wie wichtig ein
gutes Klima und ein von allen Beteiligten im Unternehmen getragener Geist sind,
wird oft nicht hoch genug eingeschätzt.
g) Zum Schluss – im Sinne einer dramaturgischen Steigerung – noch einige
Bemerkungen zur Forderung des Kodex, die Bezüge der Vorstandsmitglieder
individuell zu veröffentlichen.
Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Vergütung – und gemeint sind
alle Vergütungsbestandteile aktiver Vorstandsmitglieder – dafür zu sorgen, dass
die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des
Vorstandsmitglieds, seiner Leistung und zur Lage der Gesellschaft stehen. Mit
diesem Auftrag belässt das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat – zu recht, wie ich
meine – ein weites Ermessen. Der Aufsichtsrat erhält damit allerdings auch eine
besondere Verantwortung.
Der Corporate Governance Kodex hat die denkbaren Vergütungsbestandteile
aufgefächert und dazu jeweils Standards für Angemessenheit formuliert. Ich
meine, dass der Corporate Governance Kommission dies gut gelungen ist. Ich kann
auch nur begrüßen, dass der Kodex die Unternehmen dazu auffordert, die Grundzüge
des Vergütungssystems, ggf. unter Einschluss von Angaben zum Wert von
Aktienoptionen, via Internet, Geschäftsbericht und Hauptversammlung den
Aktionären bekannt zu machen.
Wir sind andererseits der Auffassung, dass die Daten zur Vorstandsvergütung,
die durch die Bilanzierungsregeln verpflichtend vorgegeben sind, ausreichende
Transparenz ermöglichen, insbesondere wenn die Unternehmen Aktienoptionspläne,
soweit vorhanden, verständlich darlegen.
Wir bei der BMW Group verfahren wie folgt:
- Die Gesamtsumme der Vorstandsbezüge wird veröffentlicht.
- Ebenso geben wir bekannt, wie hoch der variable, also erfolgsabhängige Teil
der Vergütung ist; im Geschäftsjahr 2003 lag er bei über 82 %. Nach
vergleichenden Untersuchungen von Personalberatungsgesellschaften liegt die BMW
Group mit dieser hohen Quote deutlich an der Spitze aller DAX-Unternehmen. Im
übrigen gilt das Grundprinzip unseres Vergütungssystems, nämlich ein hoher
variabler Anteil, auch für alle unsere Führungskräfte.
- Aktienoptionen oder ähnliche Vergütungsbestandteile enthält unser derzeitiges
Vergütungssystem nicht.
- Die Grundzüge unserer Vergütungsstruktur werden im Internet veröffentlicht.
- Wo soll nun der Mehrwert für den Aktionär liegen, wenn er darüber hinaus den
genauen Betrag je Vorstandsmitglied in Euro und Cent kennt?
- Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich für das Portemonnaie von
Vorstandsmitgliedern insbesondere die Nicht-Aktionäre interessieren.
Ich fasse zusammen:
In voller Anerkennung der Verdienste des Deutschen Corporate Governance Kodex
bekennt sich unser Unternehmen zu einigen Abweichungen vom Kodex.
Diese Abweichungen sind von dem Bewusstsein getragen, dass wir in unserer
Gesellschaft und damit auch in der Wirtschaft grundsätzlich statt zunehmender
Überregulierung mehr Freiräume für unser Tun benötigen.
Freiräume setzen allerdings, das wissen wir sehr wohl, Vertrauen voraus. Mit
Appellen ist Vertrauen nicht zu erreichen. Zu gewinnen ist nur durch
Überzeugungskraft und Vorbild. Dessen sind wir uns bewusst und versuchen, danach
zu handeln.
Quelle: BMW Pressemitteilung vom 30.03.04
Das könnte Sie auch interessieren:
Rede von Helmut Panke
anlässlich der Bilanz-Pressekonferenz 2004 (News
vom 17.03.04)
Bitte empfehlen Sie diesen Artikel weiter:
|