Kategorie: Formel1 16.03.2009
Interview mit BMW Motorsport Direktor Mario Theissen.
München/Hinwil, 16. März 2009. Das BMW Sauber F1 Team hat mit dem
F1.09 insgesamt 9445 Testkilometer in Valencia, Sakhir, Jerez und Barcelona
absolviert. Es war die Vorbereitung auf die vierte Saison des Teams. Wohl nie
war eine Einschätzung der Kräfteverhältnisse so schwer. Grundlegende
Reglementänderungen haben fundamental andere Fahrzeuge hervorgebracht. In knapp
zwei Wochen, am 29. März, findet der erste WM- Lauf im australischen Melbourne
statt.
- Herr Theissen, ist das BMW Sauber F1 Team gut vorbereitet?
BMW Motorsport Direktor Mario Theissen: „Ja. Der Eindruck nach den Tests ist
gut. Sowohl die Fahrer als auch die Ingenieure haben positive Rückmeldungen
gegeben. Die Richtung, die wir mit dem BMW Sauber F1.09 eingeschlagen haben,
stimmt.“
- Was waren die größten technischen Herausforderungen?
Theissen: „Die Ingenieure mussten sich in vier Bereichen auf grundlegende
Neuerungen einstellen. Denn neben den Themen Aerodynamik, Reifen und KERS zähle
ich auch die verdoppelte Laufleistung der Motoren dazu. Nie zuvor in der Formel
1 mussten die Motoren so viele Kilometer halten. Die Änderungen bei der
Aerodynamik waren so fundamental, dass die Ingenieure sprichwörtlich mit einem
weißen Blatt Papier beginnen mussten. Auch die Einführung des
Bremsenergie-Rückgewinnungssystems KERS in der Formel 1 stellte für die
Techniker Neuland dar. Eine riesige Herausforderung, die wir mit sehr großer
Motivation angenommen haben. Wenn ich heute schaue, welche Fortschritte wir in
dieser kurzen Zeit gemacht haben, dann ist das schon sehr beeindruckend. Hier
hat die Formel 1 die Rolle eines Technologiebeschleunigers für künftige
Serienfahrzeuge übernommen.“
- Wird das Kinetic Energy Recovery System (KERS) in Melbourne zum Einsatz
kommen?
Theissen: „Wir haben das KERS zur Rennreife entwickelt. Einem Einsatz steht
also diesbezüglich nichts mehr im Wege. Nun gilt es abzuwägen: Auf der
Positivseite ist die zusätzliche Leistung von 82 PS, die der Pilot während 6,6
Sekunden abrufen kann. Auf der Negativseite stehen das Gewicht des Systems mit
seiner Auswirkung auf die Gewichtsverteilung des Autos sowie der
Reifenverschleiß. Wir werden von Strecke zu Strecke und von Fahrer zu Fahrer
entscheiden.“
- Sind schwerere Fahrer durch das KERS benachteiligt?
Theissen: „Das vom Reglement vorgeschriebene Fahrzeug-Mindestgewicht von 605
Kilogramm wird inklusive Fahrer ermittelt. Die Differenz aus dem tatsächlichen
und dem Mindestgewicht wird als Ballast optimal im Fahrzeug platziert. Auch
bisher hatte daher ein schwerer Fahrer den Nachteil, weniger Ballast zur
Ausbalancierung des Fahrzeugs zur Verfügung zu haben. Beim Einsatz des KERS wird
die Ballastmasse um das Gewicht des Systems weiter reduziert. Damit die Formel 1
nicht zu einer Jockey-Liga ausartet, plädieren wir für eine Erhöhung des
Mindestgewichts in Zukunft.“
- Wie schätzen Sie die sportpolitische Bedeutung der Teamvereinigung FOTA für
die Zukunft der Formel 1 ein?
Theissen: „Auf Seiten der Formel-1-Teams hat in der Vergangenheit noch nie
eine solche Einigkeit geherrscht wie jetzt. Nicht umsonst hat der Vorsitzende
Luca di Montezemolo in Genf Anfang März bei der ersten FOTA-Pressekonferenz von
einem historischen Ereignis gesprochen. Mit der FOTA haben sich die Teams zu
einem Partner für FIA und FOM auf gleicher Höhe formiert.“
- Welches sind die wichtigsten Ziele?
Theissen: „Uns geht es einvernehmlich darum, die Kosten zu senken, ohne dass
die Formel 1 an ihrer Attraktivität und Anziehungskraft einbüßt. So haben wir
bereits für 2009 die Testfahrten halbiert und die Nutzung von Windkanal sowie
Supercomputer eingeschränkt. Für 2010 wird ein noch viel umfangreicheres Paket
folgen. Die Königsklasse ist nach wie vor eine einzigartige Mischung aus
Spitzentechnologie, Sport, Wirtschaft und Show. Aber die Zeichen der Zeit haben
sich geändert. Und auf diese Änderungen muss sich auch die Formel 1 einstellen.
Da sehe ich unseren Sport auf einem guten Weg.“
- Welche Einsparmaßnahmen hat das BMW Sauber F1 Team bereits getroffen?
Theissen: „Wir unterstützen schon seit Jahren Maßnahmen zur Kostensenkung und
waren immer mit Augenmaß unterwegs. Im BMW Sauber F1 Team wurde von Beginn an
auf Effizienz geachtet und der Aufwand Jahr für Jahr reduziert. BMW gibt für die
Formel 1 heute 40 Prozent weniger aus als noch 2005. Damals waren wir
Motorenlieferant, inzwischen sind wir mit einem eigenen Team unterwegs.
Signifikante Einsparungen wurden durch die Verlängerung der Motorenlaufzeiten
erreicht. Als BMW zum Jahr 2000 in die Formel 1 zurückkehrte, hat man mit einem
Motor die freien Trainings bestritten, für das Qualifying einen neuen eingebaut
und für das Rennen nochmals einen frischen. Dieser Aufwand wurde sukzessive
zurückgeschraubt. Heute müssen acht Motoren pro Fahrer für die ganze Saison
reichen. Eine weitere erhebliche Budgeteinsparung stellen die stark reduzierten
Testfahrten dar. 2009 sind Testfahrten auf Rennstrecken außerhalb der
GP-Wochenenden bis zum 31. Dezember gestrichen. Die einzige Ausnahme bilden
Tests für Nachwuchsfahrer ohne GP- Erfahrung nach Abschluss der Saison. Wir
haben ein ganzes Maßnahmenpaket zur Kostenreduzierung geschnürt.“
- Wie sehen Sie die Zukunft der Formel 1?
Theissen: „Wir haben die Gelegenheit, die Zukunft der Formel 1 in der
gegenwärtig kritischen Phase positiv zu beeinflussen. Und ich bin überzeugt
davon, dass die Formel 1 gestärkt aus dieser Situation hervorgehen wird. Wenn
die Maßnahmen zur Kostenreduzierung erst einmal vollumfänglich gegriffen haben,
gehe ich davon aus, dass weitere unabhängige Teams in die Formel 1 einsteigen
und dabei finanziell auf einer gesunden Basis stehen können. Darüber hinaus
zielt das technische Reglement nun in eine Richtung, die für die Entwicklung von
Serienautos eine wichtige Rolle spielt. Dadurch kann die Formel 1 in Bezug auf
Zukunftstechnologien eine Pionierrolle übernehmen.“
- Ist die Investition in das Formel-1-Projekt in der derzeitigen
wirtschaftlichen Lage für BMW zu verantworten?
Theissen: „Eindeutig ja. Parallel zu den Einsparungen, denen noch weitere
folgen werden, haben wir den sportlichen Erfolg hochgefahren, so dass nicht nur
unsere Marketing-Experten sagen: Die Formel 1 ist für BMW wertvoll. Sie bleibt
der Kern unseres Motorsport- Programms. Es gibt kein anderes Engagement, das
weltweit so große Strahlkraft in so hoher Frequenz hat und gleichzeitig noch
technisch so herausfordernd ist, dass davon auch die Forschung eines ganzen
Unternehmens profitieren kann. Die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt für uns positiv
aus.“
- Wie lautet Ihr Ziel für die Saison?
Theissen: „Wir haben einen langfristigen Fahrplan: Im ersten Jahr wollten wir
regelmäßig in die Punkteränge fahren, im zweiten Jahr Podestplätze erreichen und
im dritten Jahr den ersten Sieg einfahren. Diese ambitionierten Ziele haben wir
alle erreicht. Für 2009 ist nun der nächste und schwerste Schritt geplant: Wir
wollen um den WM-Titel mitkämpfen. Wir sind mit dem F1.09 gut gerüstet. Alles
Weitere werden die 17 Saisonrennen zeigen. Dabei wissen wir: Leistungsfähigkeit
kann man planen, Resultate nicht.“
Quelle: BMW Presse-Mitteilung vom 16.03.2009
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