Kategorie: Kultur 03.09.2004
Edgar Reitz zeigt auf den Filmfestspielen in Venedig >Heimat 3<
Letzten Teil seiner epochalen Familientrilogie - Partnerschaft mit BMW
München. Die schönsten Geschenke sind diejenigen, mit denen man nicht
gerechnet hat. Eine überraschende Wiederbegegnung, der Fall einer Grenze, die
unüberwindbar schien. Der Regisseur Edgar Reitz macht seinem Publikum und seinen
Hauptfiguren ein solches Geschenk gleich zu Beginn seines Films "Heimat 3,
Chronik einer Zeitenwende". Das Paar, das in "Die Zweite Heimat" immer
aneinander vorbei geliebt hat, findet sich in den ersten Minuten des Films
wieder. Siebzehn Jahre nachdem sie sich aus den Augen verloren hatten, laufen
sich die beiden Musiker Hermann und Clarissa in der Nacht der Maueröffnung in
einem Berliner Hotel zufällig in die Arme. Hoffnungsvoller kann man eine
Geschichte nicht beginnen. Riskanter vielleicht auch nicht. Edgar Reitz wiegelt
ein wenig ab. "Ich wollte einfach eine Liebesgeschichte nach dem Happy End
erzählen. Wir wissen doch als erwachsene Menschen, dass es da erst anfängt,
interessant zu werden."
Film 6 - Henry Arnold: "Hermann kommt fast zu spät zur Beerdigung eines guten
Freundes"
Edgar Reitz ist ein Mensch, der scheinbar Unvereinbares in seinem Leben und
in seinem Werk zusammengeführt hat: Das Weggehen und das Bleiben, den Aufbruch
und die Beharrlichkeit. Er war der Erste, der den missbrauchten Begriff "Heimat"
von seinen Beschädigungen befreit hat, indem er ihm seine Ambivalenz zurückgab.
"Heimat", jenes unübersetzbare deutsche Wort, beschreibt in seinen Filmen die
Enge ebenso wie die Geborgenheit. Heimat ist Krankheit ebenso wie Medizin. Edgar
Reitz, 1932 in einem Dorf im Hunsrück geboren, hat, seinem Alter Ego Hermann
gleich, den Weg aus der Provinz in die Welt gemacht und seine Heimat schließlich
in seinen Filmen gefunden. München wurde über Jahrzehnte hinweg zur Bodenstation
seiner Kreativität. In Schwabing - jenem in der "Zweiten Heimat" als
Seelenzustand gezeichneten Viertel, hat Reitz seine Wohnung und seinen
Firmensitz, nicht weit von der Universität entfernt. Der Schwabinger Biergarten,
in dem wir uns zum Gespräch treffen, ist an einem heißen Nachmittag im August
fast leer. Edgar Reitz lässt sich durch den schattigen Platz unter den Kastanien
nicht zu bloßer Plauderei verleiten. Auch das Reden über den Film gehört zu
seiner Arbeit.
"Heimat 3" ist fertig. Nach 246 Drehtagen in Oberwesel, Frankfurt am Main,
Berlin, Leipzig, Dresden, Amsterdam, München und immer wieder im Hunsrück. 680
Minuten wird der Film dauern. Zwölf Stunden auf zwei Tage verteilt. Die Premiere
auf den Filmfestspielen in Venedig steht unmittelbar bevor. Hier in der Sala
Grande hat Reitz mit der "Zweiten Heimat" 1992 einen großen Triumph gefeiert.
Allein in Italien haben eine Million Besucher den Film in den Kinos gesehen.
"Die warten auf eine Fortsetzung", sagt Reitz und lacht. Selbst ein weltweit so
anerkannter Regisseur ist gegen den Erwartungsdruck nicht ganz gefeit.
Die Liebe ist eine Konstante im Werk des 71jährigen Regisseurs, nicht anders
als es die Zeitgeschichte ist, die Familie und die Kunst. Alle Elemente des
Lebens fügt Reitz auch im dritten Teil seiner epochalen Familiensaga zu einem
dichten Gewebe zusammen. Zu einem Strom von Farben, Tönen, Gesichtern und
Geschichten, die Millionen von Zuschauern schon bei den ersten beiden Teilen
unersättlich machten. Tagelang überließen sie sich während den
Kinovorstellungen, die der Fernsehausstrahlung vorausgehen, dem Sog der
Erzählung. Im Figurenensemble um jenen jungen Musiker, der aus seinem
Hunsrückdorf geflohen war, um in München eine Künstlerkarriere zu machen, fand
jeder einen Teil seiner selbst wieder. Nicht anders als unter den Bewohnern des
imaginären Dorfes Schabbach aus "Heimat", mit dem Edgar Reitz 1984
Fernsehgeschichte geschrieben hat.
"Heimat 3" nimmt die Fäden aus den vorangegangen Teilen auf, ist aber auch
ohne sie als Werk autonom. Die "Chronik einer Zeitenwende", so der Untertitel,
setzt mit dem Mauerfall 1989 ein, lässt sich aber Zeit, bis der Anfang von Ende
der DDR in großen Massenszenen mit rollenden Trabis tatsächlich ins Bild gesetzt
wird. Die wiedergefundene Lebensliebe zu Clarissa führt Hermann unverhofft auch
in die Gegend seiner Kindheit zurück. "Man muss immer an den Ursprung zurück, es
ist wie eine Revision. Hermann ist auf der Suche nach seinen eigenen Motiven."
Bedeutet die Rückkehr seiner Hauptfigur für Reitz eine späte Versöhnung mit
der Provinz? "Die eigentlichen Gründe, das Dorf zu verlassen, existieren ja
nicht mehr. Menschen, die in einer landwirtschaftlich geprägten Provinz gelebt
haben, sind mobile Leute geworden, die in die ganze Welt fliegen. Aus der Enge
sind inzwischen alle ausgebrochen. Aber man könnte auch sagen: Deswegen findet
man die Provinz überall. Und überraschenderweise finden sich in der Provinz nun
großartige Geister. Das gesellschaftliche Spiel ist inzwischen anders gemischt."
Ein Haus wird zum Schnittpunkt der unterschiedlichsten Lebenslinien, zur
Drehscheibe zwischen den Generationen, zwischen Ost und West. Clarissa hat ein
verfallenes Fachwerkhaus am Rheinufer entdeckt, gemeinsam restaurieren sie das
Haus, das zur Mitte in ihrem ruhelosen Leben werden soll. Der Einbruch von
Krankheit, Missverständnissen und die Wunden, die das egomanische Leben der
beiden bei ihren Kindern aus anderen Ehen hinterlassen hat, lassen das Haus nie
zum verlogenen Scheinidyll mutieren. Reitz gehört nicht zu den Beschwörern der
heilen Familie, wie sie in der politischen Kaste derzeit Hochkonjunktur haben.
Dennoch weiß er aus eigener Erfahrung, dass die gewählte Familie der Freunde und
Arbeitskollegen - wie sie in der "Zweiten Heimat" im Mittelpunkt stehen- in
schwierigen Zeiten oft nicht trägt. "Nur wenn man seine Arbeit als
unkorrumpierbar bezeichnet und sich selbst treu bleibt, bleiben einem auch die
Kollegen treu. Diese Treue hat etwas mit Erhaltung zu tun, sonst endet die
Beziehung an dem Tag, an dem man seine Gage nicht mehr zahlt."
Das Günderrode -Haus, wie es Hermann und Clarissa nach der romantischen
Dichterin Caroline von Günderrode nennen, ist nach Abschluss der Dreharbeiten
nicht abgerissen worden. Als kleines Museum soll es ein Anlaufpunkt werden für
"alle Leute, die den Film lieben." Reitz sagt: "Die Fiktion ist Wirklichkeit
geworden."
Wie Wirklichkeit Film wird- darüber hat Reitz oftmals Auskunft gegeben, nicht
zuletzt seinen Studenten an der Hochschule in Karlsruhe, wo er Filmregie
unterrichtet. In "Heimat 3" ist der Abstand zu den tatsächlichen Geschehnissen
knapp. Der Gefahr des puren Nachstellens von historischen Ereignissen, wie sie
jedes Nachrichtenarchiv konserviert, entkommt ein Regisseur nur durch den
Einsatz der Poesie. Auch da wurzelt die Bildsprache von Edgar Reitz in der
Realität, deren surreale Qualität er aufspürt. Der Tag der Sonnenfinsternis im
August 1999, als die Menschen mit dunklen Schutzbrillen auf den Straßen Münchens
in den Himmel starrten, wird bei ihm zu einem der großen Panoramen des Films und
zugleich zu einer subtilen filmischen Studie über Dunkelheit und Licht.
Wie auch in den beiden ersten Teilen der Trilogie wechselt Reitz zwischen
Schwarz-Weiß-Film und Farbe. Schwarz-Weiß hebt die Konturen der Gesichter
deutlicher hervor. "Es ist den Menschen näher". Reitz hat die Figuren seiner
Filme immer mit besonderer Zärtlichkeit gezeichnet. "Ich mache gerne Filme über
Menschen, die ich ins Herz schließen kann. Figuren, die ich nicht mag, kann ich
nicht zum Thema machen." Die Stimmigkeit einer Figur reicht bei Edgar Reitz bis
hin zum Auto, das er ihr zuordnet. Hermann, der sich vom aggressiven
Avantgardisten zu einem traditionswahrenden Dirigenten und Komponisten gewandelt
hat, fährt einen BMW; seine Tochter Lulu reckt ihre Gestalt gern aus dem offenen
Schiebedach eines MINI. Bei der Suche nach zeitgemäßen Requisiten fordert Reitz
äußerste Präzision.
Diese Suche brachte die BMW Group und den Regisseur Anfang der 80er Jahre
zusammen. Damals begann Reitz mit den Vorbereitungen für "Heimat 1" und
interessierte sich für einen historischen BMW. Diese Partnerschaft überstand
auch schwierige Zeiten, als das "Heimat"-Projekt eine ungewisse Zukunft vor sich
hatte. Dass diese Verbindung mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert andauert,
hat auch für die BMW Group eine besondere Qualität.
Wo wird es Heimat geben, wenn jeder mit dem Billigflieger überall hin jettet,
wenn die Dörfer verschwinden und die Metropolen von Provinzlern bevölkert sind?
"Wenn die Welt grenzenlos wird und die Orte beliebig werden, ist "Heimat" kein
Ortsbegriff mehr, sondern ein Zeitbegriff. Der Film kann als einzige
Kunstgattung die Zeit, die uns immer nur entflieht, bannen. Man kann auch im
Film die Zeit nicht anhalten, aber erzählen kann man sie. Der Film kann Heimat
sein."
Kurzbiographie Edgar Reitz
Edgar Reitz, 1932 im Hunsrück geboren, gehört seit den Sechziger Jahren zu
den wichtigsten, vielfach mit Preisen ausgezeichneten deutschen Filmemachern.
Der Regisseur erlangte mit dem 1984 ausgestrahlten Spielfilmzyklus "Heimat, eine
deutsche Chronik" Weltruhm. Darin erzählt Reitz Lebensgeschichten in einer
Dorfgemeinschaft über einen Zeitraum von sechzig Jahren hinweg und begründete
damit ein neues Genre der Geschichtsdarstellung. "Die Zweite Heimat- Chronik
einer Jugend" knüpfte 1992 an "Heimat" an und befasst sich mit den rebellischen
Studenten der 68er Jahre. "Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende" wird auf den
Filmfestspielen in Venedig 2004 gezeigt. Im Zentrum steht die Verbindung des
Einzelnen mit den historischen Ereignissen des Mauerfalls. Co-Autor des
Drehbuchs ist der in der ehemaligen DDR aufgewachsene Bestseller-AutorThomas
Brussig. Edgar Reitz lebt in München und lehrt an der Staatlichen Hochschule für
Gestaltung Regie.
Quelle: BMW Presse Mitteilung vom 03.09.04
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