Dornröschenschlaf

[Highliner]

Dornröschen - oder - Die Auferweckung eines E23 732i


Huuup!

Hier bin ich nun. Nach langem Schlaf wieder in dieser Welt. Die Gegend ist vertraut und bekannt, aber doch ist alles anders. So neu. So fremd. Wer bin ich eigentlich? Wenn ich mich ansehe, ein 1985er BMW E23 732i. Weiß. Alpinweiß, um genau zu sein. Mein Herr und Fahrer, der Highliner, meint, ich sei eine gereifte Schönheit mit meinen fast 20 Jahren. Dabei fühle ich mich eigentlich nicht älter als 4 Jahre. Aber wenn wir durch die Straßen fahren, dann zeigt sich mir ein Bild von einer Gegend, in der ich aufgewachsen bin, die mir aber dennoch irgendwie seltsam vorkommt. Alles ist so ganz anders. Was ist passiert?!

Wir schreiben das Jahr 1985. Ein gewisser Herr Schauff-Boise bestellt in einem BMW Autohaus in Düren einen E23. 732i, weiß, mit Klimaanlage, SSD, cremefarbenem Lederinterieur und weiteren kleinen Details, die seine Autofahrten annehmlicher werden lassen sollen. Das ist quasi meine Geburtsurkunde. Im Juni 1985 werden wir zusammen geführt. Aber unsere Zweisamkeit ist nur von kurzer Dauer. Dem Herrn Schauff-Boise ging wohl das Geld aus und er verkaufte mich schon im Dezember 1985 an Herrn Dr. Olbertz.

Dr. Olbertz war ein feiner Mann. Guter Umgang, seriös und voller Liebe zu mir. Er ließ mich hegen und pflegen und wir verbrachten zusammen mit seiner Frau wunderbare Jahre. Gerne sind wir in den Urlaub nach Italien und Frankreich gefahren. Das war immer sehr spannend und ich lernte ein wenig die Welt kennen. Bis Mitte 1988 sind wir so fast 70tausend Kilometer gefahren. Wir haben viel erlebt.

Ende 1988 wurde Dr. Olbertz sehr krank. Er konnte nicht mehr so oft mit mir fahren. Schließlich starb dieser feine Herr leider im Frühjahr 1989. Seine Witwe hatte keinen Führerschein; aber weggeben wollte sie mich in Erinnerung an ihren lieben Mann nicht. Also stellte sie mich im April 1989 in einem kleinen Anbau, der zu ihrem Haus gehört, ab.

Die nun folgenden Jahre sollten dunkel werden. Ohne Tageslicht und ohne Einflüsse von dem Zeitgeschehen in der Welt da draußen, fristete ich mein bescheidenes Dasein in diesem kleinen Raum. Mauerfall, Kanzler Schröder oder das Jahr 2000 gingen einfach spurlos an mir vorbei und erscheinen mir völlig fremd.

Bis Juni 2004. Die alte, gammlige Tür, auf die ich so lange geschaut habe, öffnet sich. Dort steht ein junger Mann, von dem ich erfahre, daß er mit Automobilen handelt. Neben ihm steht Frau Olbertz. Alt ist sie geworden. Und sie hat beschlossen, das Haus und mich zu verkaufen, da sie in ein betreutes Altenwohnheim umziehen will. Der junge Mann will für sie im Auftrag handeln und nimmt mich mit nach Köln. Obwohl ich mich ja noch jung fühle, läßt er mich auf einem Anhänger mitfahren. Dieser wird von einem Auto gezogen, auf dem zwar das gleiche Emblem drauf steht, wie bei mir, aber wie ein Geländewagen aussieht. X5 heißt er. - Tsss! Geländewagen von BMW - verrückte Welt!

Nun stehe ich hier an einer Ausfallstraße im Kölner Süden und schaue mir die Gegend an. Neben mir parkt ein himmelblaues Käfer Cabrio. Ein vertrautes Gesicht. Hinter mir ein E21. Auch bekannt. Aber sonst?! Focus, Nubira, E-Klasse heißen die anderen um mich herum. Völlig fremd! - Und ich? Dreckig bin ich. Mit viel Staub und etwas Matsch stehe ich hier an der Straße. Und warte.

Da! Ein schwarzer Wagen, der auch aussieht wie ein BMW, hält direkt vor mir. Wieder steht ein junger Mann vor mir. 30 wird er wohl sein. Und er beäugt mich lange ganz genau. Derweil plaudere ich mit dem schwarzen BMW. Er ist auch ein 7er, sagt er. Ein E32 Highline. Sachen gibt's… - aber er ist sehr nett und wir verstehen uns sofort sehr gut. Der junge Mann geht wieder weg. Und ich will sagen "Nein! Bleibe hier!" - aber meine Batterie ist leer und ich bin nicht in der Lage, mit meinen Scheinwerfern zu blinken oder zu hupen. Schade. Eine halbe Stunde später kommt er wieder zurück. Streichelt mir über das Dach und flüstert "Bis morgen!". Die Nacht über schlafe ich überhaupt nicht. Ich bin aufgeregt. Was wird wohl passieren?

Am nächsten Tag kommt der junge Mann - Highliner nennt er sich - wieder vorgefahren. Ich erhalte ein rotes Nummernschild. Das zweite überhaupt in meinem Leben. Dann gibt der Highliner dem anderen jungen Mann einige seltsam aussehende Papiere in die Hand. Euro nennen sie das. (???) 1600 davon gibt er ihm. Und dann fahren wir. Ja! Wir fahren. Langsam zwar, aber es tut sooo gut, daß mein Motor nun endlich wieder laufen darf. Mit maximal 80 km/h geht es in eine 50 km weit gelegene Ortschaft auf einen großen Gutshof. In eine große Scheune. Nein!!! "Nicht schon wieder so lange in Dunkelheit stehen!" huste ich aus dem Auspuff. Aber der Alexander - so heißt er wirklich - will in den nächsten Tagen vorbei kommen und mich schön machen. Mich polieren, mich inspizieren und mich knuddeln. Und dann soll ich wieder ein neues Nummernschild erhalten, sagt er! Und wenn ich dann wieder schön und prachtvoll bin, dann will er Fotos von mir machen. Wie ein Model.

Ich freue mich schon!

Freude am Fahren

E23 732i