Nach langer Zeit mal wieder ein Fahrbericht
-------
Es steht in einer Ecke, das Bertone Coupe, blaugrau, mit zerdellten roten Nummernschildern und heruntergelassenen Scheiben. "Der Fiesta ist leider unterwegs, da kann ich ihnen nur ein Auto mit einer roten Nummer geben".
Ich: "Warum nicht den SL AMG? Der hat doch auch eine rote Nummer."
Sie lacht: "Schlüssel steckt, Benzin sollte noch halb voll sein. Bis morgen dann" und übergibt mir die Papiere.
Also gut. Äußerlich macht der Bertone einen etwas verwahrlosten Eindruck, der sich im Innenraum fortsetzt. Es ist das klassische Topgear-Kauf-Dir-für-1500-Pfund-Ein-Coupe-und-absolviere-damit-eine-Reihe-von-Challenges-Auto:
Der Innenraum ist grau und verwohnt, die linke Türpappe deutlich mehr als die Rechte. Das Lederlenkrad zeigt starke Abnutzungserscheinungen, der Schaltsack hat Löcher, der Innenhimmel ist nicht wirklich appetitlich.
Der einzige Lichtblick sind die Tachoanzeigen: weiß hinterlegt, mit Ringen im Aludesign, Tacho bis 240, klassische Schrift, der rote Bereich ist allerdings kaum zu erkennen.
Die Mittelkonsole ist grau und recht übersichtlich, ganz unten prangt stolz ein Bertone Schriftzug, der genauso wie die Tachos irgendwie den Eindruck macht, sich in der Tür geirrt zu haben, darüber die Bedienteile der manuellen Klimaanlage, in der Mitte sitzt ein Radio ohne Display, anschließend kommen ein paar Lüftungsdüsen und ganz oben endlich doch ein Display für die Frequenz und den Bordcomputer (!), das mehr Pixelfehler aufweist als mein 7er Pixel hat.
Das Radio ist nicht wirklich prall, es ist eine AC/DC CD eingelegt, aber immerhin läßt es sich komfortabel vom Lenkrad aus bedienen, genau wie der Bordcomputer mit Durchschnittsverbrauch und Reichweitenanzeige.
Einige Teile des linken Außenspiegels fehlen, aber das Wesentliche, nämlich der Spiegel, ist noch dran. Die elektrische Verstellung funktioniert wenigstens noch, hurra, die Fensterheber ebenso. Immerhin: die Türöffner sind noch aus richtig massivem Metall, so etwas gibts heutzutage nicht einmal im 7er BMW.
Der Innenspiegel ist extrem leichtgängig und kurz vor dem Zustand "zu leichtgängig", man kann ihn noch einstellen ohne daß er seine Ausgangsposition wieder einnimmt.
Die Sitze sind modisch gemusterte Spochtsitze mit verstellbarer Oberschenkelauflage (!). Die Verstellung geht mit einigen Hebeln und einem Drehrad, man sitzt recht hoch, aber einigermaßen kommod. Das Raumgefühl ist mehr Van als Coupe, die Rundumsicht ausgezeichnet, auch wenn man die stark abfallende Motorhaube nicht im Blick hat.
Aber mal ehrlich: für tuningfreudige Opelaner ist hier noch längst nicht alles verloren: diesen Innenraum könnte man mit hellgrauem Leder beziehen, das graue Plastik durch Leisten im Karbondesign ersetzen, das Lederlenkrad sanieren und einen neuen Schaltsack einsetzen, dann sähe es hier doch gar nicht so schlecht aus. Den Dachhimmel könnte man reinigen oder gar mit Alcantara beziehen. Der pixelfehlerige Bordcomputer fliegt raus und macht einem großen LCD Farbdisplay Platz.
Ein Dreh mit dem Zündschlüssel bringt den Vierzylinder Benzinmotor zum leben. Die Kupplung kommt erst sehr spät, dafür - Überraschung - ist die Lenkung sehr angenehm: leichtgängig, relativ präzise, wenn auch ein wenig schief.
Der Motor ist gegenüber dem Fiasko eine erhebliche Verbesserung und zieht durchaus was weg, auch an die Schaltung kann man sich gewöhnen.
DIe Klimaanlage scheint hingegen von dem ebenfalls von Bertone stammenden Lamborghini Countach zu stammen: sie pustet Kaltluft als säße ein Astmathiker hinter der Verkleidung, der durch einen Strohhalm bläst.
Bei Landstraßentempo ist die Fuhre überraschend komfortabel. Wirklich agil ist was anderes, aber der Opel liegt gut und macht einen souveränen Eindruck. Nichts klappert oder wackelt, nur die Sitze quietschen ab und an ein wenig. Erst ab 130 gewinnen die Windgeräusche an Stärke.
Eigentlich ist er gar nicht so schlecht.
Mein Opa würde dichten:
Eene meene Mopel, wir fahrn 'nen alten Opel,
links ne Delle, rechts ne Delle,
unterm Rad: ne Bodenwelle!
(hoffentlich hält die Nockenwelle!)
Das kleine Topgear-Challenge Auto macht durchaus Spaß, ich bin schon in deutlich schlechteren Autos gefahren.
Und da wir ja schon quasi bei Topgear sind, könnte die erste Challenge folgendermaßen aussehen:
"Challenge #1: Du hast dir ein typisches Azubi-Raserauto gekauft. Beweise, daß die Karre mindestens Tacho 200 fährt!"
Trifft sich gut, die Geschwindigkeitsbegrenzung wird gerade aufgehoben. Ich schalte in den 4. zurück und ziehe am imaginären Captain Slow vorbei, gefolgt von einem ebenso imaginären Jeremy Clarkson in einem nicht minder imaginären Volvo Kombi.
Auch auf der Autobahn zieht das Opel Coupe gut durch, Drehmoment ist durchaus vorhanden. Ich hab keine Ahnung, was für eine Maschine unter der Haube verbaut ist, ich vermute irgendwas um die 2,0 Hubraum mit 125 PS oder so. Jedenfalls geht er bis 160 recht flott und schiebt sich langsam bis zur 200er Marke weiter.
Yes! Strike! Challenge bestanden, hurra!
Ja, man kann mit diesem Auto rasen, wenn man möchte.
"Challenge #2: Versuche, mit dem Auto deine Freundin zu beeindrucken!"
Ich stell mir das so vor:
--
Ich komme nach Hause und schwärme etwas von "ich habe ein schickes italienisches Coupe bekommen, das ist vom gleichen Designer, der auch die Modelle von Lamborghini gestylt hat!".
"Meinst du etwa den abgewrackten Scheiß-Opel da draußen? Du wolltest doch zur Müllkippe...paßt das Zeug da überhaupt rein?"
"Ja, aber das ist erst Challenge #3"
"Was bitte?"
"Never mind".
--
Gottseidank ist meine Anna alten Autos durchaus gnädig gesinnt:
Ihr gefällt das kleine Auto, sie könnte sich durchaus vorstellen, so einen zu fahren. Innen ists halt Plastik, von außen findet Anna das Bertone Coupe durchaus schick. Heckspoiler und Seitenschweller dran, man könnte was draus machen.
Kommen wir nun endlich zu Challenge #3:
"Du hast gestern abend die Garage aufgeräumt und dabei jede Menge Müll gefunden. Verstau den Müll in dem Auto und achte darauf, daß alles ordentlich gesichert ist. Du hast bis 16:20 Zeit, damit zur Müllkippe in Altwarmbüchen zu fahren und den Schrott zu entsorgen Die Uhr läuft!".
Alles kein Probem, die Kiste hat ja eine große Heckklappe....oder?
Pustekuchen! Statt großer Klappe gibts eine winzige Ladeluke, wie in einem Cabrio. Zumindest die Sitze lassen sich umklappen, aber die Durchlade ist auch nicht wirklich groß. Also Akkuschrauber und Kreissäge holen. Der alte Esstisch wird auseinandergenommen, und auch die Stühle werden zerlegt und mit einer Menge sonstigem Gerümpel im Auto verfrachtet.
Dann fahren wir zur Müllkippe. Der Umklappmechanismus der Sitze funktioniert übrigens sehr komfortabel: Knöpfchen drücken, umlegen, fertig. Nicht wie bei VW, wo man erst einmal mühsam die Kopfstützen demontieren, die Sitzflächen hochklappen und dann die Lehnen vorklappen muß und anschließend immer noch keine ebene Ladefläche hat.
Und zum Zurückklappen genügt es völlig, die Lehnen vom Fahrersitz aus mit Schmackes zurück zu werfen, satt und sauber rasten sie ein.
Ebenfalls eine feine Sache sind die Vordersitze mit Easy-Entry-Funktion, d.h., beim Umklappen schiebt sich der Sitz nach vorne und man hat einen überaus bequemen Zugang zum Fond.
Nach der Müllkippe hat der Opel noch eine wichtige Aufgabe bekommen:
mich auf einer streng geheimen Mission begleiten!
Seit geraumer Zeit sammele ich 2€ Münzen. Diese habe ich in einer Concorde Ledertasche untergebracht und zwischen den Müll ins Auto geschmuggelt.
Ziel der Mission: heimich in die Stadt fahren, und einen schönen Ring besorgen, ich hatte nämlich vor, meiner Anna endlich einen Antrag zu machen.
Wir wuseln flink durch die Stadt. An die Kupplung hab ich mich noch immer nicht gewöhnt, an jeder zweiten Ampel drehen die Reifen durch, aber abgewürgt hab ich ihn nie.
Parkhaus war kein Problem, und Anna wundert sich auch nicht, was wir so lange auf der Müllkippe treiben. Ich finde tatsächlich einen schönen Ring, weißgold mir Stein, und dank meines Müllmanoutfits versucht auch keiner, mir ein exorbitant teures Exemplar anzudrehen, im Gegenteil.
Hurra, die Mission glückt, keiner hat etwas gemerkt :-)
Abends fahren wir noch einmal in den Baumarkt, ein paar Blumentöpfe besorgen. Anna findet den kleinen Opel durchaus akzeptabel, er erinnert sie an den Ford Mustang, der hätte ja auch so viel Plastik im Innenraum, LOL.
Am nächsten Tage bringe ich den Opel zurück. Zwischendurch tanke ich noch einmal für 10l nach. Das hätt ich mir auch sparen können, denn in der Werkstatt erzählt mir der Meister:
"Das ist ein Abwrackprämienauto, das hat der Vorbesitzer für einen neuen Dacia Logan in Zahlung gegeben".
Vermutlich bin ich also die letzte Person, die mit dem Opel noch einmal fahren durfte, bevor er in den Schredder kommt. Das finde ich schade, das hat das kleine Bertone Coupe nun wirklich nicht verdient. Angesichts der hohen Laufleistung vom 188tkm fährt es wirklich noch ausgezeichnet, das hätte ich nie im Leben von einem Opel erwartet.
Hätte der Besitzer das Geld, was er für sein neues Weg-werf-Auto ausgegben hat, in den Opel gesteckt, da hätt man schon etwas richtig tolles draus machen können. Eine 300€ Aufbereitung hätte schon viel gebracht.
Wir sind uns einig: wer durch das Geld vom Staat mit Blindheit geschlagen alte Autos, die noch voll funktionsfähig sind, wegwirft oder verschrottet, sollte mit Dacia Logan fahren nicht unter 3 Jahren bestraft werden!
Den Bericht mit Bildern gibts auf
Opel Astra Bertone - Verraten und verschrottet | Vorwerkz.com | Johannes Vorwerk