02.03.2004
Rückrufaktion kein Einzelfall
Übererfüllung von Kundenwünschen, mangelnde Praxistests und Komplexitätsdruck führen zu Qualitätseinbußen
Düsseldorf. In einer weltweiten Aktion musste Porsche in der
vergangenen Woche mehr als 22.000 Cayenne-Geländewagen in die Werkstätten
zurückrufen. Der Grund: Die mit dem Fuß zu bedienende Feststellbremse ist
fehlerhaft. Auch 6.500 Besitzer des VW-Schwestermodells Touareg durften ihre
Fahrzeuge zur Überprüfung bringen. Die aktuelle Rückrufaktion der beiden
Automobilunternehmen ist leider kein Einzelfall. Immer häufiger müssen
Autohersteller ihre Fahrzeuge aufgrund mangelnder Qualität in die Werkstätten
zurückrufen.
Allein die beim Kraftfahrt-Bundesamt gemeldeten Rückrufaktionen sind seit
1992 um das Dreifache gestiegen: Mit 144 Rückrufen im Jahr 2003 (insgesamt über
eine Million Fahrzeuge) wurde ein neuer Rekord aufgestellt: 2,2 Prozent der
zugelassenen Pkw mussten wegen gravierender Mängel zurück in die Werkstätten.
Beträchtliche Umsatzeinbußen und Imageverluste für die gesamte Automobilbranche
sind die Folge.
Die Ursachen liegen nach Auffassung der internationalen Unternehmensberatung
Celerant Consulting auf der Hand: Hoher Kosten- und Zeitdruck bei
Produkteinführungen, zunehmende Komplexität der Komponenten und mangelhafte
Qualitätssicherungsmodelle. Der erneute Anstieg der Rückrufaktionen überrascht
daher nicht. "Die Produktpalette vieler Autohersteller reicht mittlerweile vom
Kleinwagen bis zum Minivan. Dabei werden bis zu 75 Prozent der eingebauten Teile
von externen Zulieferern entwickelt und gefertigt. In der Zusammenarbeit
zwischen Zulieferern und Automobilherstellern kommt es zu erheblichem
Koordinationsaufwand. Zudem stehen Neuentwicklungen bei steigender Komplexität
unter einem hohen Zeit- und Kostendruck. Und hohe Komplexität bedeutet nun
einmal erhöhte Störanfälligkeit und in der Folge auch höhere Qualitätskosten",
so Markus Diederich, Geschäftsführer von Celerant Consulting in Deutschland.
Celerant ermittelte in einer Studie im vergangenen Jahr, dass rund 80 Prozent
aller Automobilhersteller ihre Qualitätssicherung nur unzureichend betreiben.
"Dabei liegt dort neben der Rückrufproblematik auch ein erhebliches
Kostenpotenzial verborgen. Insgesamt können die Gesamt-Qualitätskosten bei den
Autoherstellern nach unseren Berechnungen bis zu zehn Prozent des Umsatzes
ausmachen," so Diederich weiter.
Ein Praxisbeispiel: "Eine Einparkhilfe besteht heute aus einer Vielzahl
hochsensibler Komponenten. Zur Angebotspalette der Hersteller gehören
mittlerweile mehrere Varianten der Parkhilfe. Hier werden Kundenanforderungen
übertroffen, denn der Kunde benötigt diese Vielfalt nicht immer," erklärt
Diederich.
Auch Multifunktionsknöpfe mit bis zu 37 verschiedenen Optionen im Lenkrad
überfordern viele Kunden. Durch sinnvolle Priorisierung der Sonderausstattungen
und durch die Einführung eines effizienten und nachhaltigen Qualitätsmanagements
lassen sich Einsparungen in Milliardenhöhe erzielen.
Mehrere Premiumhersteller hatten in der Vergangenheit mit Elektronikproblemen
bei ihren Fahrzeugmodellen zu kämpfen. Ein kurzer Dreh am Lichtschalter stellt
nicht einfach nur das Licht an. Vorher prüfen verschiedene Steuergeräte, ob die
Handlung auch berechtigt und mit dem Ladezustand kompatibel ist. Das Licht wird
vereinzelt sogar bei Dunkelheit und Tacho 200 automatisch abgestellt, wenn nach
Ermessen der Steuerungssysteme an der Stromversorgung gespart werden muss.
Mittlerweile haben die Hersteller erkannt, dass ein Großteil der elektronischen
Einzelteile nicht mehr zuverlässig kontrollierbar ist. DaimlerChrysler überprüft
derzeit eine Standardisierung einzelner elektronischer Komponenten in der
Oberklasse. Damit soll das Fahrzeugsystem weniger störanfällig werden.
Dabei werden die Rückrufe nicht nur durch die Elektronikbauteile verursacht:
Die Mehrzahl ist laut ADAC auf die mechanischen Systeme zurückzuführen.
Gefährlich ist nach Diederich auch hierbei die Tendenz der Automobilhersteller,
Praxistests durch Laborsituationen zu ersetzen. Viele Autohersteller testen ihre
Fahrzeuge oftmals in Computersimulationen und mit Extremfahrten durch Wüste und
Eis. "Das kann den Praxiseinsatz jedoch nicht ersetzen", sagt Diederich.
"Funktioniert ein System im Labor noch tadellos, fällt es im rauhen
Alltagsbetrieb unter Umständen nach 60.000 km aus, weil im Zusammenspiel mit
anderen Komponenten erhebliche Probleme auftreten. Daher müssen Hersteller und
Zulieferer die Komponenten im Vorfeld gemeinsam unter Alltagsbedingungen
erproben."
Quelle: Celerant Consulting
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Homepage Celerant
Consulting
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