Kategorie: Fahrbericht BMW-Modellreihe: F20 06.12.2011
Low-End: BMW 116i - Fahrbericht
Wenn BMW ein neues Auto vorstellt, so werden wichtige Motor-Journalisten eingeladen, dieses persönlich zu (er-) fahren, um darüber zu berichten. Nicht anders beim neuen BMW 1er, der im Juli in der Bundeshauptstadt Berlin seine Presse-Premiere feierte. Zwischen leckeren Häppchen, und angenehmen Gesprächen mit Designern und Entwicklern wird dann Probe gefahren - meist in extra für die Presse überprüften und nahezu voll ausgestatteten Testfahrzeugen. Denn auch der 1er bietet heutzutage alles was das (Technik-) Herz begehrt, und sonst nur in höherer Fahrzeugklasse angeboten wird, angefangen beim Automatik-Getriebe, Fahrerassistenz-Systemen (u. a. Spurhalte-Hilfe, Abstandwarner, Tempo- und Überholverbotsanzeige), uneingeschränktem Internet-Zugriff, Navigation (mit Real-Time Stauanzeige), Rückfahrkamera bishin zum Xenonlicht.
Auch auf der IAA in Frankfurt, bei der die 1er-Reihe im September ihre Publikums-Weltpremiere feierte gab es selbstredend kein einziges Fahrzeug in Grundaustattung zu sehen. Aber ist ein typischer 1er-BMW auf deutschen Straßen wirklich immer gut ausgestattet? Wenn man sich die Preisliste anschaut, so wird sich sicher der eine oder andere Käufer, wenn nicht der Großteil der Käufer für einen BMW 1er in etwas dürftiger Ausstattung entscheiden. Denn wer möchte schon 40.000 Euro oder mehr für den kleinsten BMW mit kleinster Maschine, aber mit Voll-Ausstattung ausgeben? Auch 10% Preisaufschlag für ein Navigationssystem Professional wertet einen 1er sicher nicht um 10% auf.
Kommen wir also auf den Boden der Tatsachen zurück, und lassen uns nicht von Presse-Fahrzeugen und Hochglanzprospekten blenden und beschäftigen uns mit dem Standard. Ja, so etwas gibt es wirklich, wie das Beispiel eines 116i, den BMW Procar in Unna anbietet, zumindest in gewissem Maße beweist:
BMW 116i mit Halogen-Scheinwerfern - ohne Standlichtringe
BMW 116i mit kleinste Maschine im BMW-Sortiment, kein Navigationssystem, keine Alufelgen (dank Winterrädern), keine Verbrauchsanzeige, kein Xenonlicht - was will man weniger? Standlichtringe? Nein, die gehören überraschenderweise auch nicht zum Standard. Sie sind nur im Paket mit Xenonlicht (940 Euro Mehrpreis) erhältlich. Grundausstattung hat aber auch dieser 116i nicht, denn das Urban-Line Paket, das Sichtpaket und auch ein Schiebedach hat man ihm gegönnt.
Wer nun über fehlenden Bordmonitor, fehlende Freisprecheinrichtung oder fehlenden Tempomaten jammert, der klagt sicher auf hohem Niveau, denn auch wenn der 1er für ein Premium-Fahrzeug spartanisch ausgestattet sein mag, so hat er doch alles was man wirklich braucht bereits serienmäßig an Bord. So muss weder auf eine Zentralverriegelung mit schlüssellosem Motorstart, Fensterheber, Klima-Anlage, Bord-Computer, CD-Radio, Reifen Pannen Anzeige und Kopfairbags auch hinten verzichten werdet. Alles Dinge die vor einigen Jahren in dieser Klasse nicht mal gegen Mehrpreis bestellt werden konnten.
Apropos Ausstattung: Es sei bemerkt, dass BMW mit dem neuen 1er erstmals Ausstattungslinien zur weiteren Individualisierung eingefüht hat. Zum Aufpreis von 1.900 Euro kann entweder die "Sport Line" oder die "Urban Line" dazu genommen werden, um den jeweils gewünschten Charakter des 1ers per angepasstem Innen- und Außendesign zu unterstreichen. Die Mehrpreise der Lines umfassen u. a. auch Alu-Felgen statt serienmäßiger Stahlfelgen, und sind schon deswegen eine Überlegung wert. Die Sport Line beinhaltet beispielsweise Sportsitze, wohingegen in der Urban Line u. a. Akzente durch weiße lackierte Elemente (z. B. Stoßfängerblende und Nierenstäbe) setzt. Die angebotenen Lines individualisieren also, aber ob jedem die auffällig weißen Akzente in der Urbanline, oder das markante Sportlenkrad mit roten Kontrastnähten in der Sportline gefallen bleibt abzuwarten. Wer auf Alufelgen verzichten kann, kann die die 1.900 Euro Mehrpreis für die Lines sicher auch sinnvoll anderweitig in der Aufpreisliste investieren.
Zurück zum BMW 116i vom Autohaus Procar in Unna. Während mein eigener BMW gewartet wird, darf ich den 1er - dank Gutschein der BMW Leasingbank kostenlos - einen Tag lang ausleihen. Nur 4 km hat das Auto auf dem Tacho, und man bitte mich entsprechend vorsichtig zu fahren. Das gelingt mir auf Anhieb nicht wirklich, denn beim Anfahren drehen vor den Augen meines Serviceberaters beim Verlassen des Geländes die Hinterreifen durch - und das im 2. Gang! Kein Wunder, denn der Wagen hatte zuvor als Ausstellungsstück (mit passend markantem Schriftzug "neuer 1 BMW") auf der Wiese vor dem Autohaus geparkt, und entsprechend wenig griffig waren zunächst die montierten Winterräder.
links: BMW 116i "Urban Line" mit weißer Stoßfängerblende soll vor allem das jüngere, designorientierte Käuferklientiel interessieren; erstmals bei BMW: Blinker im Außenspiegel
Als fast zwei Meter großer Mensch habe ich genug Platz hinter dem Steuer des 1ers und kann bequem Platz nehmen. Hinter mir wird es für etwaige Beifahrer allerdings eng auf der Rückbank was die Beinfreiheit betrifft. Gefühlt sitze ich auf dem Fahrzeugboden - so tief muss ich den Sitz einstellen, um ausreichend Kopffreiheit zu erhalten. Beengt komme ich mir aber nicht vor, nur das Aussteigen ist aus der tiefen Sitzposition nicht ganz so bequem. Die komfortable Weite im Innenraum wird augenscheinlich, als ich zwischendurch mal vor einem VW Polo parke. Der BMW wirkt vergleichsweise breit - und genau das ist er auch. Gegenüber dem Vorgänger hat die Spurweite hinten um ganze 7,1 cm zugenommen. Nicht nur optisch liegt der BMW damit satter auf der Straße.
Breit wirkt er also der neue 1er. Ansonsten besticht das Design des 1ers durch markante Scheinwerfer und eine lange Motorhaube mit relativ weit hinten liegender Fahrgastzelle, die das Auto dynamisch und kräftig wirken lassen. Von hinten kann der 1er mit Rückleuchten im japanischen Stil nicht überzeugen. Im Innenraum gefällt die marken-typische Neigung des Cockpits bzw. der Mittelkonsole hin zum Fahrer. Die verwendeten Materialien wirken wertig, und die Bedienung ist BMW-typisch auch ohne Bedienungsanleitung möglich. Das Tacho wirkt für diese Klasse recht edel, und alle Anzeigen lassen sich gut ablesen. Negativ fällt auf, dass es im Lenkrad - dank fehlender Ausstattung - auch nicht belegte Tasten gibt.
Tachometer - leider ohne Momentanverbrauchsanzeige, aber mit ECO PRO Modus Anzeige
Nach den ersten gefahrenen Metern stelle ich positiv fest, dass der 4-Zylinder-Turbo-Motor dreuhfreudig und durchzugsstark ist und die 136 PS stets gut mit dem 1er zurecht kommen. Das Motorengeräusch ist kernig, aber nicht aufdringlich und verleitet zu mehr Drehzahlen, aber die Schalt-Empfehlungs-Anzeige im Tacho bringt mich doch immer wieder zu Vernunft. Das Schalten macht Freude, denn das 6-Gang-Getriebe überzeugt mit kurzen Schaltwegen; außerdem ist es angenehm leichtgängig und exakt zu schalten.
Dass man mit der kleinsten möglichen Motorisierung unterwegs ist, fällt fast nie auf. Der Twin-Turbolader sorgt für eine tolle Leistungsentfaltung ohne Turboloch und scheint dem mit 1,6 Litern Hubraum recht kleinen Aggregat regelecht Flügel zu verleihen. In Landstraßenkurven fühlt sich der 1er wie zuhause, und wenngleich der Dampf auf den Geraden natürlich etwas größer sein dürfte, kommt mir der 1er eher wie ein Sportwagen als wie ein untermotorisierter Wagen der Golfklasse vor. Der Fahrkomfort - der großen Spur und dem langen Radstand sei Dank - scheint mir mind. eine Klasse höher angesiedelt zu sein, und infolge seines - in dieser Klasse einzigartigen - Heckantriebs und angenehm direkter Lenkung kommt die Fahrfreude nie zu kurz. Ein starkes Stück Auto, das BMW das auf die Räder gestellt hat!
Mittelkonsole mit Bordcomputer und CD-Radio; rechts: Vorfeldbeleuchtung
Leider fehlt die Momentanverbrauchsanzeige im Testwagen, und so fällt es schwer, den Vebrauch des Autos einzuschätzen. Immerhin berechnet der serienmäßige Bord-Computer den Vebrauch abschnittsweise. Laut Anzeige liegt mein Verbrauch mit 7,1 Litern je 100 km rund 1,6 Liter über dem von BMW angegebenen Normverbrauch. Trotzdem empfinde ich den Verbrauch in Bezug zur Fahrweise als angemessen. Etwas geringer wäre der Verbrauch wohl ausgefallen, wenn die Start-Stop-Automatik funktioniert hätte. Aus mir zunächst nicht nachvollziehbaren Gründen ist der Motor bei Ampel-Stopps nie ausgegangen, auch im neuen ECO-Pro Modus nicht. Offenbar war die Batterie nicht voll genug geladen.
Neben den bereits bekannten, serienmäßigen EfficientDynamics-Komponenten wie Bremsenergie-Rückgewinnung ist der ECO-Pro-Modus neu im 1er-BMW und kann über den serienmäßigen "Fahrerlebnisschalter" ausgewählt kann. Neben dem "Sport" und "Komfort" Modus kann so im Eco Pro Modus über eine angepasste Motoren-Charakteristik spritsparender gefahren werden. Im Instrumenten-Display wird mit blauen Ziffern angezeigt, um wieviele Kilometer die Reichweite dank ECO-Pro-Modus steigt. In der Praxis läuft diese Kilometeranzeige (in 100 Meter-Schritten) gar nicht mal langsam, d. h. es lässt sich offenbar spürbar Benzin einsparen. Spürbar anders vehält sich dann allerings auch der Motor bei der Gasannahme. Es geht schlicht deutlich träger zu also zuvor im Komfort- oder Sport-Modus. Im Alltag kann jedoch ohne all' zu große Einschränkungen im ECO-Pro Modus gefahren werden.
Ambiente Beleuchtung exklusiv auch auf der B-Säule gibt es nur in der Urban-Line Ausstattung
Fazit: der neue 1er gefällt und macht auch ohne Navigationssystem und sonstiger Luxus-Ausstattung viel Spaß. Wäre da nicht der vergleichsweise hohe Preis, so würde BMW die untere Mittelklasse wohl nicht nur fahrdyamisch sondern insgesamt dominieren. Im Detail wird zwar deutlich, dass man sich im kleinsten und günstigsten BMW befindet, aber vom Fahkomfort her kann man auch mit dem 1er-BMW problemlos längere Strecken komfortabel zurück legen, und das auch sehr ökonomisch. Was will man mehr?
Text und Fotos: Christian Schütt
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