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Alt 03.08.2021, 20:11   #1
JRAV
Auf Samtpfoten
 
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Ort: Lehrte
Fahrzeug: 2021 Tesla M3 LR, 2003 Porsche 986 S
Beitrag Das Petrolhead-Akku-Auto-Experiment

Alles im Leben ist endlich. Insbesondere Leasingverträge. Sie haben einen fixen Anfang und ein fixes Ende. Man fährt ein neues Auto und am Ende der Laufzeit sucht man sich entweder wieder ein schönes Auto aus dem BMW-Pool aus oder bestellt einen Neuwagen.

Das war eigentlich der Plan.

Nur leider ist es im Moment sehr schwer, überhaupt ein Auto zu bekommen. Die Höfe sind leergefegt, in der Mercedes NL am Ort sind statt Neuwagen Vorführwagen und alte Taxis ausgestellt. Interessante Angebote im Internet entpuppen sich als Vaporware, die man wegen Corona noch nicht enternt hat.

Eigentlich wollte ich gern wieder einen 5er fahren, vielleicht einen schönen 540i FL, oder - Traum - ein 840i Gran Coupé. Gibts aber nicht, zumindest nicht als günstigen Jahreswagen. Dann also Neuwagen, aus steuerlichen Gründen als Hybrid. Könnte ich bestellen, wird irgendwann geliefert, und soll in Sparausstattung mehr als das doppelte meines jetzigen Autos kosten.

Danke, aber, nein danke.

Was tun?

Ein 3er ist kaum preiswerter und zu klein. Audi gibts nicht. Mercedes gibts nicht. VW...sorry...nein.

Porsche? Ja, für den Betrag, den ich jetzt für einen 5er zahlen soll, bekomme ich auch einen Porsche. Den Taycan find ich unheimlich cool, und ist im Listenpreis gar nicht mal soviel teurer als mein 5er. Aber in der jetzigen Zeit vielleicht ein wenig zu gewagt...sagt die Familie

Ok, gucken wir weiter.

Vater nervt mit einer einfachen Frage: Was kann alles, was ein Taycan kann, kostet nichtmal die Hälfte und ist kurzfristig lieferbar?

Ein...ich weiß, was er meint. Und ich wage es kaum, es hier auszusprechen.

Ein....






Tesla.

Model 3.

Basisausführung.


Mit dem Vorschlag geht mein alter Herr mir seit Tagen tierisch auf die Senkel.

Gut, sehen wir uns das Ding an. Klick klick klick, kost ja nix.

Die Leistungsdaten der Basisausführung Standard Plus entsprechen tatsächlich dem Porsche Taycan. Und die Serienausstattung ist tatsächlich sehr gut, die würde bei Porsche 13k€ extra kosten.

Aber das Ambiente...da ist doch nix drin in der Karre!

Nix!

Aber eine andere Idee hab ich nicht.

Also vereinbare ich einen kontaktlosen Probefahrtermin beim örtlichen Tesla Stützpunkt und karre meine Familie dorthin. Frau und Sohnemann sind von der futuristischen Elektro-Flunder in der gewagten Farbkombination weiß/weiß begeistert.

Zugegeben: so schlecht sieht er nicht aus. Vorne eine Mischung aus Porsche Boxster und Ferrari Modena, seitlich mit etwas Phantasie ein Hauch Aston Martin, und hinten erinnert er ein wenig an einen Alfa Romeo. Oben hat er ein gigantisches Glasdach. Es bildet einen riesigen Bogen von der Motorhaube bis weit in den Heckdeckel hinein.

Per Remote-Funktion wird das Auto geöffnet, wir dürfen einsteigen. Innen erwartet uns eine großzügige Lounge aus weißem Kunstleder. Die elektrisch verstellbaren Sitze sind recht bequem und laden zum Lümmeln ein. Nur die Kopfstütze sind eher von der harten Sorte. Die BMW Komfortsitze sind deutlich besser, aber gut, gibt schlimmeres.

Vor mir sehe ich ein kleines dickes Lenkrad, eine weiße Leiste und die geschwungenen Kotflügel, ein bisschen eine Mischung aus Porsche 911 und ...Renault Espace.

In der Mitte gibt es einen Riesenmonitor mit Touchscreen, einen Haufen riesiger Ablagen, Ladepads fürs Smartphone und eine Armlehne. Die Verarbeitung ist ordentlich, alle Nähte sind gerade.

Einen Startknopf gibt es nicht. Die Gänge werden wie bei Mercedes per Hebel gewählt. Bremse drücken, Gang rein, losfahren. Vorsichtig bugsiere ich das ungewohnt Auto auf die Straße. Gas geben....na ja, geht gut, aber dem Hype wirds nicht wirklich gerecht.

Wir rollen durch die Stadt. Ich versuche, mich an den Tacho auf dem Riesenipad zu gewöhnen. Head-up Display wär toll, gibts aber nicht, weil Elon Musk die Dinger nicht mag. Cool ist aber die Darstellung der Sensorik: auf dem Bildschirm zeigt das Auto die ganze Zeit, was es wahrnimmt. Andere Autos, Ampeln, Fußgänger, Verkehrsschilder...und sogar Mülltonnen!

Das kann mein BMW nicht, der kann nur "Auto vorne ja oder nein".

An das One-Pedal-Fahren könnt ich mich gewöhnen. Fuß vom Gas, die Fuhre bremst durch Rekuperation, und die Bremse hat Pause. Das Telefon klingelt, ich halte an. Der Betreuer ist dran und fragt, wie es geht.

"Ja, schönes Auto, hätte ich mir aber schneller vorgestellt".

"Auf welchen Modus haben Sie den denn gestellt?"

Ich wühle durch die Menüs. "Lässig", antworte ich.

"Dann schalten Sie mal auf 'Standard'!"

Gut. Ich lege auf, schalte die Beschleunigung auf "Standard".

Warte, bis die Straße frei ist.

Und geb Gas...

SCHEISSE ALTER!

Der Tesla schießt vorwärts und ich kriege einen Schlag auf den Hinterkopf, als hätte Klitschko mir höchstpersönlich eine reingehauen!

Fuck!

Das Ding ist...mir fehlen die Worte.

Jeder normale Motor braucht einen Moment, um Kraft aufzubauen. Selbst ein M6 kommt nicht sofort aus den Puschen, einen kleinen Moment braucht selbst der. Beim Tesla im "Standard"-Modus ist es so, dass die Kraft sofort da ist. Es fühlt sich an, als wäre das Auto direkt mit den Nervenenden im Hirn verbunden.

Ab auf die Autobahn, mal probieren, wie lange der Spaß anhält.

Ich fahr auf die A7, hinter uns drängelt ein Z4 Roadster. Das Limit wird aufgehoben, alles frei, Gaspedal Richtung Bodenblech. Die beiden E-Motoren mit zusammen gut 460PS schieben und schieben und schieben. 180..190..220...bei 235 regelt er so langsam ab. Und der Z4...welcher Z4? War da irgendetwas?

Vor uns ist Verkehr, zurück auf die mittlere Spur, langsamer werden, tief durchatmen, Gedanken ordnen.

Meine Frau beschwert sich über Windgeräusche.

Wuppp....da isser wieder, der Z4 schießt trotz Verkehrs vorbei.

Schön. Egal.

Ich bin total geflasht.

"Akku", fällt mir panisch ein, "Akku, wir müssen doch wieder zurück".

Die Anzeige sagt "450km Reichweite".

Alles gut. Reichweite hatta. Nur Nappa-Luden-Leder halt nicht, das nennt sich heute Vegan.

In die andere Richtung probieren wir das gleiche nocheinmal aus. Beschleunigen, Entschleunigen, binäres Fahren, so drei, vier mal, bis Vmax. Der Tesla muss doch kleinzukriegen sein, die Leistung muss doch irgendwann einbrechen, wie beim S, den ich vor Jahren mal gefahren bin.

Tut sie nicht.

Könnte es sein, dass man einen Tesla wie einen ganz gewöhnlichen Porsche auf der Autobahn bewegen kann? Denn er fährt sich wie ein viersitziger Porsche-Sportwagen, liegt wie ein Brett auf der Straße und ist auch sehr sportlich gefedert.

400km Reichweite, sagt der Akku. Und wir sind fast wieder in Hannover. Auf dem Messeschnellweg spiele ich etwas mit dem Autopiloten. Funktioniert soweit, aber im Moment fehlt mir die geistige Kapazität.

Gut 20 kWh auf 100km hat er verbraucht. Ist das viel? Ist das wenig?

Keine Ahnung.

Sohnemann ist inzwischen eingeschlafen und weint bitterlich, als er wieder aussteigen soll. Meine Frau macht Selfies für Instagramm.

In meinem Kopf rattert es gewaltig. Ich bin Petrolhead, ich liebe dicke Autos mit dicken Motoren. Gut, mit dem Diesel bin ich nie warmgeworden. Aber dem V12 trauere ich bis heute hinterher, und ich werde nie den wunderbaren Klang eines Ferrari-V8 vergessen, oder das Kreischen eines 6-Zylinder Boxers.

Und jetzt: Mein gesamtes automobiles Weltbild liegt in Trümmern. Achtzylinder, Zwölfzylinder, Turbolader...Autoträume, vernichtet von einem profanen Mittelklasse-Elektroauto.



Zwei Tage später nehme ich meine Kreditkarte und bestelle einen verdammten Tesla Long Range in weiß/weiß.
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Liebe Grüße,

Johannes

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