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Mercedes Maximus
Hier mal einige Statements und Fakten zum „Sechskommaneun“. Ihr wollt so ein Automobil besitzen? Gerne. Es sei gegönnt. Aber bitte erst mal lesen:
Der Sechskommaneun ist ein Auto wie eine Grande-Complication-Uhr. Er erfüllt alle Grundanforderungen, die an ihn gestellt werden, in Perfektion. Bis heute fahren, federn, lenken oder bremsen nur wenige Autos besser. Aber zusätzlich birgt dieser Wagen unzählige weitere Funktionen, die man nicht wirklich benötigt, die ihn aber zu dem machen, was er ist: Ein feinmechanisches Wunderwerk.
Auf der Suche nach nutzbarem Raum für all diese Sonderfunktionen drangen die Daimler-Ingenieure in Bereiche vor, die in den Siebzigern im Allgemeinen noch technologiearm waren, beispielsweise in die Türen. Dort befindet sich ein Schlangennest aus Elektrik- und Unterdruckleitungen, fast so komplex wie mancher Kabelbaum eines Kleinwagens. So wird z.B. aus der Arbeit, „mal eben“ die Türen zu demontieren, eine Detektiv- und Feinmechanikerleistung.
In dem Auto stecken viele kleine Geheimnisse, die man entschlüsseln muss. Die fernverstellbaren Außenspiegel z.B. lassen sich nur demontieren, wenn kleine Hebelchen auf eine bestimmte Art in Neutralposition gedrückt werden, sonst kann man den Verstellmechanismus nicht lösen.
Nochmal, äußerlich ist der 6.9 von seinen W116 Geschwistern nicht zu unterscheiden, so ist er technisch doch weit von ihnen entfernt. Dieses Auto wollte das Autofahren so sorglos und belastungsfrei machen, so menschlich wie irgend möglich – und wurde durchgängig missverstanden. Wann immer die Sprache auf den Sechsneuner kommt, ist von gigantischen Fahrleistungen und gigantischem Verbrauch die Rede. Dabei ist er eigentlich vor allem eines: Unglaublich kultiviert.
Fehleinschätzungen begleiteten das Auto von Anfang an: Schon als der 6.9 im Mai 1975 vorgestellt wurde, hielt man ihn für einen Anachronismus. Der Ölschock von 1973 lag noch nicht lange zurück, die Öffentlichkeit sah in dem neuen Über-Benz vor allem Blech gewordenen Protz und Prunk. Leider kann man die Öffentlichkeit nicht zur Probefahrt einladen. Der bedarf es aber bis heute, will man diesen Wagen verstehen lernen. Erst wenn man drin sitz, erschließt sich einem der eigentliche Zweck dieses Autos: Es bietet einen außergewöhnlichen Schutzraum und hält alles Störende von seinen Insassen fern, indem es eine Kapsel von Sicherheit und Komfort um sie legt. Allerdings: Auch weil Elektronik in diesem Auto fast noch nicht stattfindet, säuft der 6.9 wie eine Diesellok. Weniger als 20 Liter auf 100 Kilometer sind nicht drin. Zwei Tonnen wollen bewegt, Myriaden von Servos gefüttert werden.
Federung: Der 6.9 ist der bis heute einzige Serien-Mercedes mit Hydropneumatik. Daimler-Benz hatte auf der Suche nach perfektem Komfort eine Lizenz von Citroen erworben. Zwar fertigte man parallel den luftgefederten 600 (W100), der aber war technisch völlig anders konzipiert und durfte auch das Doppelte kosten.
Außer dem Motor hat der größte aller W116 mit dem 600 wenig gemein. Das gilt auch für die Preisentwicklung: Der 600 verlor nur wenig an Prestige, Repräsentation und Wert, aber der 6.9 geriet in vierter oder fünfter Hand fast zwangsläufig an Menschen, die ihn nicht verstanden und völlig überfordert waren; finanziell wie handwerklich. Er ist bis heute unterbewertet, allerdings handelt man sich mit einem abgewirtschafteten Exemplar einen Rattenschwanz an Ärger ein.
Ersatzteilsituation: Im Prinzip ist alles neu erhältlich. Entweder über Mercedes-Benz oder Zulieferer wie Bosch. Allerdings - Beispiel Mengenteiler – zu einem Tarif, der problemlos an den Kaufpreis eines Zustand-3-Wagens reicht. Beispiel Reifen: Originalformat ist 215/70 VR14. Das Format liegt nicht bei jedem Reifenhändler rum und wird nur noch von Michelin hin und wieder mal aufgelegt. Preisgefüge ähnlich TRX bei unseren BMW.
Motorraum: Wo ein gewöhnlicher Youngtimer normalen Formats allenfalls eine Handvoll Fehlerquellen entwickeln kann, findet der 6.9 neuartige und vielfältige Möglichkeiten, seinen Besitzer in den Wahnsinn zu treiben. Der Motor mit seinen unzähligen Versorgungs-, Kühl- und Steuersystemen plus Trockensumpfschmierung (!) mit externem Öltank konkurriert mit der Klimaanlage, der Hydropneumatik und den Servoeinheiten von Lenkung und Bremsen um jeden Kubikzentimeter Raum, dazwischen schlängelt sich ein Unterdrucksystem, das all jene Operationen vornimmt, für die vom Fahrer und den Passagieren wenig Kraft erforderlich ist.
Der eigentliche Punkt: Einen Sechsneuner zurück auf die Straße zu bringen, ist mit der Sanierung eines anderen Klassikers kaum zu vergleichen. Bei fast jedem Auto stellt die Karosserie die Hauptaufgabe dar – hier nicht. Angesichts der komplexen Mechanik und Hydraulik tritt selbst ein wüst verrostetes Blechkleid in den Hintergrund. Selbst die schlimmste Tür wäre vermutlich in weniger als einer Arbeitswoche blechmäßig wieder hergestellt. Wer alles, was sich in ihr verbirgt, wieder in den Neuzustand versetzen will, ist zumindest ähnlich lang beschäftigt.
Die Vollrestaurierung eines maroden Exemplars inklusive kompletter Demontage bis zur Rohkarosserie wäre sicherlich zu leisten, ganz sicher wäre sie aber auch wirtschaftlicher Wahnsinn. Künftigen Interessenten sei der Weg empfohlen, ein nicht über die Maßen vernachlässigtes Exemplar zu suchen – und das maßvoll instandsetzen.
Fazit: Der 6.9 ist so beeindruckend, weil er nichts tut, um zu beeindrucken. Das ist heute schwer zu verstehen. - Ja, auch ich bin von dem Sechskommaneun fasziniert und besessen. Immer schon gewesen. Und deshalb träume ich nur weiterhin von ihm.
(Quelle/Auszüge aus OMA)
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Als Gott den Menschen erschuf, da war er bereits müde. - Das erklärt einiges. (Marc Twain)
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Geändert von Highliner (03.07.2008 um 20:58 Uhr).
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